Ein kleines Waisenhaus im Spitalareal von Silveira
Entstehungsgeschichte des ersten Waisenhauses, von Annamarie Seelhofer
Bei Wochenenddiensten meines Mannes, habe ich ihn ab und zu bei der Visite – oder auch nachts zu einem Notfall begleitet.
Ich wusste von drei kleinen Kindern, welche auf dem Hausflur der Kinderstation ein unwürdiges, trauriges Dasein lebten. Von der Familie nie abgeholt nach der Geburt und jetzt gar vergessen. Ein anderes Kind ausgesetzt. Alle Drei erhielten nicht regelmässig Essen. Sie wurden kaum gewaschen – von Zuwendung keine Rede. Kein Mensch fühlte sich für diese Kinder verantwortlich.
Immer wieder hatten sie Durchfall, suchten sie sich doch die Essensresten unter den Betten der Hospitalisierten zusammen.
Ich will, dass es diesen Kindern besser geht. Ich will mich für die Drei einsetzen. Dies mein plötzlicher, fester Entschluss und somit ohne meines Wissens der Grundstein für das kleine persönliche Projekt.
Die Spitaloberin ist begeistert. Von Anfang an bis zu meiner Abreise hatte ich ihre volle Unterstützung. Bei Fragen und Problemen, sowie im Umgang mit Behörden, z.B. der Schule, konnte ich auf sie zählen.
Dass das Spital kein Geld hatte, war auch klar, das kleine Waisenhaus funktionierte von Anfang an bloss durch Spendengelder.
Ein grosses Zimmer steht mir zur Verfügung. Der Raum ist recht gross, aber wenig anmächelig. Wir erhalten Decken und in unserem Haus finde ich viele nützliche Dinge, die wir nicht unbedingt benötigen. Franziska, meine erste Mitarbeiterin, selber auch eine Waise, hilft mir tatkräftig. Wir spazieren jeden Tag mit den Kindern, da wir noch keine Spielsachen besitzen. Die Kinder haben Angst vor den parkierten Autos vor dem Spitaleingang. Wir klettern auf grosse Steine, ich ermuntere die Kinder in meine Arme zu springen. Simbarashe ist nicht fähig, Treppen zu steigen. Der Knabe sass stundenlang – zum Teil fast nackt - auf dem Betonboden. Viele Tage habe ich mit Simba Treppauf-Treppab geübt. Natürlich wurden die Kinder auch nachts betreut, d.h. eine Person schlief im selben Raum. Sylvia, die zweite Betreuerin, unterstützt uns fortan. Sehr schnell wurde es enger im Waisenzimmer. Neugeborene, meist von HIV-positiven Müttern, welche bei oder nach der Geburt starben, wurden uns gebracht.
Improvisieren war jetzt angesagt. Es galt, Kinderbetten aufzutreiben, Bettwäsche zu nähen und vieles mehr. Inzwischen konnte ich viele Sachen – Windeln Schoppenflaschen und endlich etwas Spielsachen aus der Schweiz - entgegennehmen. Viele Spitalangestellte haben uns besucht, was des Doctor’s Frau wohl die ganze Zeit mit all den Kindern mache? Die spielen Memory, Tanzen und Singen!
Nach ca. einem Jahr sollte der Hausteil, in welchem sich das Waisenzimmer befand, ausgebaut werden. Eine ambulante Aidsklinik, geplant und geleitet durch meinen Mann, ein dringendes Projekt. Die Platzfrage für meine Kinder, inzwischen zehn an der Zahl, wurde plötzlich akut. Eine grosse Geldspende des Kiwanisklub Weinfelden ermöglichte einen Um – und Anbau eines alten Gebäudes ebenfalls im Spitalareal. Jetzt haben die Kinder endlich ein eigenes Zuhause.
Woher die Möbel und andere nützliche Dinge, wenn es weit und breit weder ein Broki noch eine Ikea gibt? Durch unser grosses Beziehungsnetz, welches sich nach mehreren Jahren Afrika ergibt, wurden wir reich beschenkt. Natürlich ein grosser Teil aus der Schweiz – wo via Schiffskontainer Kajütenbetten, Kinderwagen, Laufgitter, Dreiräder, Spielsachen und viele Kleider – uns mitten im Jahr an Weihnachten mahnte!
Eine grosse Herausforderung war auch für mich, die Mitarbeiterinnen, inzwischen Fünf, in allgemeiner Hygiene, Kinder und Babypflege auszubilden. Zum Beispiel: Wie wird im neuen Haus das WC geputzt, wenn die Frauen bis anhin eine Buschtoilette benutzten.
Stets war es mein Anliegen an die Mitarbeiterinnen die Kinder zu betreuen, sich Zeit zu nehmen Wärme und Geborgenheit zu vermitteln. Denn allen dieser Kinder fehlt die Mutter.
Das Waisenhaus soll eine Überbrückung sein, die Kinder sollen, sobald sie selbständig sind, wenn möglich in die Verwandtschaft zurückgebracht werden. Vor meiner Rückreise konnten fünf Kinder zum Vater, der Grossmutter oder Tante zurückgegeben werden.
Über längere Zeit betreuten wir 17 Kinder in dem kleinen Haus. Die Kinderbetten waren allesamt doppelt belegt, für kurze Zeit kam ein Winzling als drittes Kind in ein Bettchen.
Unser Waisenhaus, eine ganz normale Grossfamilie. Wo gestritten wird, um sich kurze Zeit später wieder zu vertragen. Wo einige Kinder die Schule besuchen, bzw. den Kindergarten.
Die Aufgabe hat mich sehr erfüllt. Der Abschied nach fünf Jahren fiel schwer von den Kindern wie auch von den Mitarbeiterinnen. Ganz klar, dass auch ich viel profitiert habe, konnte ich doch eine mir fremde Kultur und Vieles mehr kennen lernen.
Eingetragen am 17.04.2016 von Annamarie Seelhofer